Menschheitsfamilie
März, April, Mai – es regnet andauernd. Ich möchte gerne glauben, das ist gut für die Natur. Was steht in der Zeitung? Eine Katastrophe für die Bauern. Es kann nicht gesät werden, das Gras nicht gemäht werden, die Setzlinge wachsen nicht. Fäule und Pilzkrankheiten breiten sich aus, mit weitreichenden Folgen für unsere Ernährung. Es ist ein Schock, mein Bewusstsein versteht die Welt nicht mehr. – Es geht gar nicht um mehr oder weniger Regen, sondern um das rechte Mass, zur rechten Zeit, am rechten Ort, also um unser ökologisches Gleichgewicht. Es ist verloren gegangen, aussen und innen. Viele Menschen in meiner Umgebung reagieren mit Stress, Krisen und Krankheit.
Mein Bewusstsein macht interessante Operationen: Zu nass im Frühling, gab es doch schon immer, oder? Wir haben deswegen nicht am Gleichgewicht gezweifelt. Aber jetzt, mit allem, was wir inzwischen wissen? Für mich, die ich 1949 geboren wurde, war Fortschritt durch Wachstum die Lösung aller Probleme. Fortschritt war ein kultureller Leitwert mit hoher Bindekraft, im beruflichen, persönlichen und gesellschaftlichen Leben. Ein richtiges Bollwerk gegen die Angst. Es hält nicht mehr. Was nun? Was kann uns helfen, der Angst zu begegnen?
In meinem Lieblingscafe sitzend, schrieb ich an diesem Text. Eine junge Frau aus Taiwan, vom anderen Ende der Welt, schenkt mir ihr Interesse. “Are you a writer?” Dankbar erkläre ich ihr, was ich tue. “Ja, wir in Taiwan sorgen uns auch …” Das ist es, was hilft : Offene Mitmenschlichkeit, Teilen, Menschheitsfamilie. Joanna Macy, die diese Arbeit schon vor zwanzig Jahren begonnen hat, nennt es die Ökologie des Herzens.