Wer war dieser Mann?
Vor ein paar Wochen gab es ein Ereignis, das mich immer wieder kurz einholt:
Ich wohne in einem Quartier mit mehreren Wohnblöcken, die durch Rasenflächen verbunden sind.
An einem Sonntagabend hörte ich Sirenen, die sehr nah schienen und kurz darauf verstummten. Ich habe überprüft, ob es nach Rauch riecht, da war aber zum Glück kein Geruch. Als ich dann aus meinem Fenster im Wohnzimmer schaute sah ich, dass ein Mann auf dem Rasen vor dem gegenüberliegenden Wohnblock lag und von einem Sanitäter und Polizisten reanimiert wurde.
Zwei Securitas Mitarbeiter hielten Ausschau nach Menschen, die das Geschehen beobachten konnten oder wollten, so wie ich.
Diese Szene hat sich mir tief eingeprägt:
- Ein Mann, nur mit hellgrünen Bermudas bekleidet
- Der Rossschwanz der Polizistin, der während der Herzmassage hoch und runter hüpfte
- Das offene Fenster im dritten Stock über dem liegenden Mann
- Der Schatten des Polizisten in dem Zimmer
Ich habe mich von dem Fenster zurückgezogen – meine Gedanken blieben bei dem Mann am Boden. Ich wusste ja nicht was passiert war, nicht wer er ist und ob ich ihm wünschen sollte, dass er überleben würde.
Dann wurden erst Wände aufgestellt – und meine Gedanken blieben bei dem Mann am Boden. Als ein Zelt aufgestellt wurde, war mir klar, dass der Mann nicht überlebt hatte.
Tiefe Traurigkeit erfüllte mich. Ich war so ratlos in meiner Unwissenheit, wieso das passiert ist und hatte so viele Fragen und keine Antworten – nur viele mögliche Abläufe in meinem Kopfkino.
Später habe ich eine antike Öllampe angezündet. Ich habe mich innerlich mit der Seele dieses Mannes verbunden und ihm Licht auf seinem Weg zu den Engeln mitgegeben.
Am nächsten Morgen war die Lampe noch nicht erloschen, auf dem Rasen war alles weggeräumt. Zusammengedrücktes Gras war das einzige, das noch auf das Geschehen wies. Das hat mich sehr berührt. Den ganzen Tag über haben mich die Bilder und die Fragen ohne Antwort begleitet.
Ich habe dann Blumen und eine Grabkerze gekauft und eine Karte für die Hinterbliebenen geschrieben. Mit diesen drei Gaben habe ich mich an die Stelle gesetzt und mich nochmals mit dem verstorbenen Menschen verbunden gefühlt.
Später am Abend sah ich, dass die Karte weg war, die Blumen und die Kerze waren noch da. Am nächsten Morgen waren die Blumen und die Kerze noch da, aber am Abend waren auch sie weg.
Haben die Hinterbliebenen sie genommen, oder der Hauswart??
Noch mehr Fragen, die ohne Antwort bleiben und eine Rückkehr in den Alltag.
Und, in die schmerzhafte Anonymität unserer Gesellschaft.
2 thoughts on “Wer war dieser Mann?”
Liebe Frieda,
dein Mitempfinden berührt und tröstet mich. Es hilft gegen den Schmerz der Anonymität. Es ist wie ein Strahlen in den leeren Raum, der uns verbindet. Ja, da sind Herzen, die sich berühren lassen und Resonanz geben. Danke.
Sita
Danke liebe Sita