Ecuador, Reise in einen anderen Bewusstseinszustand
Da ich während vier Jahren mit Menschen gelebt habe, die in einem anderen Bewusstseinszustand sind, möchte ich gerne von dieser Zeit berichten. Mein Ziel ist es die Leser mit dieser Art zu Denken und zu sein in eine lebendige Verbindung zu bringen.
Die Erzählung ist in drei Abschnitte gegliedert, es geht um die Verbindung zur Natur, um den Schmerz den unsere westliche Art zu denken verursachen kann und um unsere Möglichkeiten zur Veränderung und Anpassung.
Die Verbundenheit mit der Natur
Ecuador ist eines der ersten Länder in der Welt das in seiner Verfassung die Bäume als eigenständige Lebewesen verankert hat.
Als ich vor beinahe 20 Jahren in Mindo, so heisst das Dorf in dem ich lebte, in Ecuador ankam war es Oktober und die Regenzeit hatte eben begonnen. Mindo liegt in einem erloschenen Vulkan Krater mitten im Regenwald auf ca 1250 Metern Höhe.
Das Dorf war noch ohne Strom, die Elektrifizierung hatte jedoch gerade begonnen.
Das Projekt das ich mit meinem damaligen Partner übernahm hatte zum Ziel die Ernährung von Kindern, alten oder behinderten Menschen zu verbessern oder sicherzustellen. Das heisst bei unserer Ankunft gab es eine Küche, in der zweimal am Tag Reis, Linsen und Kochbananen gekocht und ausgegeben wurde.
Wir hatten den Auftrag das Projekt auszubauen und vor allem abzuklären was die Menschen am dringendsten brauchen.
Das Projektgelände lag direkt am Rande eines verwilderten und bereits wieder zu Regenwald gewordenen Grundstücks und ein Teil unseres sogenannten «Gartens» war immer noch ungerodet.
Die beiden bereits bestehenden Gebäude, eine Art Küche mit einem offenen Comedor und das Schlafhaus, ein offenes Rundhaus waren dem Geschehen des Waldes ungeschützt ausgeliefert.
Wir waren täglich konfrontiert mit einer Unmenge von verschiedenen Insektenarten, Spinnen und Raupen, die um einiges grösser werden als bei uns, mit Moskitos, Kakerlaken, Faltern, Schmetterlingen, Schlangen, eine Rattenart, Makkaken, Kolibris, Papageien, Cameleons und unzähligen anderen Tierwesen.
Mindo ist umgeben von vielen grösseren und kleineren Flüssen. Während der Regenzeit floss ein Fluss direkt durchs Dorf und vor allem direkt durch unser Gelände.
Die erste Zeit war schrecklich, Ich ekelte mich vor diesen vielen Insekten und ängstigte mich vor den Schlangen und vor allem vor den zahlreich anwesenden Vogelspinnen und ich wäre in jedem Moment am liebsten wieder nachhause gefahren, wenn dies möglich gewesen wäre.
Aber ich sah auch die Kinder, die Menschen im Dorf die diese Bedingungen einfach hinnahmen, damit lebten. Niemandem kam es in den Sinn, ein Mückenspray zu benutzen oder zu versuchen mit irgendwelchen Giften oder Fallen die Tiere zu vernichten. -das ging ja auch gar nicht, man hätte sich selbst und die komplette Umwelt mit Gift einsprühen müssen, Niemand dachte daran den Fluss zu begradigen oder umzuleiten, alles hatte das Recht einfach da zu sein. Nicht dass die Menschen die Schlangen oder die Insekten besonders geliebt hätten, das war es nicht. Und wenn sie direkt bedroht wurden haben sie sich ganz selbstverständlich gewehrt und zB. einer Schlange mit der Machete den Kopf abgeschlagen.
Doch alles was nicht direkt eine Bedrohung darstellte durfte einfach sein. Die Menschen stellten sich nicht über die Natur, sie haben sich in die Natur eingefügt, ihren Platz darin eingenommen, ihre Nische zum überleben besetzt, aber nicht mehr. Da war keine Romantik, keine schönen Gefühle der Liebe oder so, das war einfach nur ein sich einfügen in dieses grossartige Naturgeschehen.
Nach vielleicht zwei Jahren war auch ich soweit, ich lebte mit all den vielen Tierwesen ohne Angst und Ekel, aber auch nicht mit einer besonderen Liebe, sondern einfach mit Akzeptanz und Respekt.
Das war meine eindrücklichste Erfahrung von Verbundenheit mit der Natur. Ich war einfach nur ein Teil vom grossen Ganzen und ich wurde vom Leben nicht mehr geliebt als diese unmöglichen kleinen Wespen die es bevorzugten in das Weisse des menschlichen oder tierischen Auges zu stechen.
Mitgenommen habe ich aus der Zeit eine hohe Toleranz gegenüber Mücken, Wespen, Ameisen, Bienen, Spinnen und allem was wir als Ungeziefer eingeordnet haben und ich kann beim Pilgern ganz gut mit Hitze, Wind und Regen umgehen.
Der Schmerz
Die OCP eine amerikanische Oelkompanie hat auf der Krete des Beckens das Mindo umgibt eine Oelleitung gelegt, um das Oel aus dem Amazonas in die Raffinerien an der Küste zu leiten.
Am Anfang gab es eine riesige Protestwelle gegen dieses Unterfangen, weit über Ecuador hinaus reisten Umweltschützer nach Mindo und hielten den Bau dieser Oelpipeline für eine gewisse Zeit auf. Denn wenn es zu einem Defekt käme, würde das Oel nicht nur in die Mindo umgebenden Flüsse laufen, nein es würde auch auf der anderen Seite des Becken den Wald und das Wasser vergiften und grossen Schaden anrichten. Das es früher oder später zu einem solchen Ereignis kommt ist nicht auszuschliessen, den das Gebiet ist Erdbebengebiet und es bebt immer wieder, wenn auch nicht so stark.
Die Amerikaner verhandelten derweil mit dem Bürgermeister von Mindo und boten an für die ein heimische Bevölkerung ein Schwimmbad und einen Fussballplatz zu errichten. Irgendwann brach der Bürgermeister ein, sicher hat er auch persönlich davon profitiert. Ecuador ist ein korruptes Land.
So gab es ein völlig verwahrlostes Schwimmbad mit einem defekten Generator auf dem Gelände direkt hinter der Schule, als ich in Mindo ankam. Im Schwimmbad tummelten sich Frösche, viele verschiedene Insekten und einmal sogar eine Wassrschlange, aber vor allem war es eine Brutstätte für Moskitos. Ich weiss nicht wie lange die Kinder von Mindo dieses Schwimmbad benutzen konnten, aber sicher nicht lange.
Die Enttäuschung der Menschen nicht sehr gross, die Kinder hatten seit jeher im Fluss gebadet. Aber die Oelleitung auf den Bergen die das Dorf umgeben, die hat den Menschen sehr wohl viel Angst und Sorgen bereitet.
Dieses Schwimmbad zu sehen hat mich immer wieder mit grossem Schmerz erfüllt. So werden die Menschen in den Entwicklungsländern getäuscht und ausgebeutet, mit derselben Ignoranz wie ihre natürliche Umgebung zerstört wird. Der wunderschöne unversehrte Regenwald wir eingetauscht gegen ein paar Dollar und ein völlig wertloses, sogar eher schädliches Schwimmbad.
Das ist ein Beispiel wie wir Menschen unsere wunderbaren, natürlichen aber auch begrenzten Resourcen in belanglose, wertlose und schädigende Dinge verwandeln und das tut sehr, sehr weh.
No hay, Möglichkeiten der Anpassung
No hay bedeutet es hat nicht, ist nicht da, gibt es nicht…….. wenn ich in meiner ersten Zeit in Mindo in das Einkaufsgeschäft ging und etwas haben wollte wie evtl Zucker, Reis oder Oel konnte die Antwort jederzeit lauten no hay, auch wenn ich seife oder ein Heft für die Kinder kaufen wollte hiess es immer wieder no hay……. Die Ladenbesitzerin blieb dabei völlig gelassen, sie entschuldigte sich nicht oder überlegte wo man das gesuchte vielleicht finden oder holen könnte…. No hay war einfach so….. es ist nicht da
Am Anfang trieb mich dieses Verhalten in viele negative Urteile wie faul, uninteressiert, wollen nicht vorwärts kommen, lethargisch, dumm usw……
Bis ich mit der Zeit begriff das all das nicht zutraf, das Begehren war einfach nicht da. Solange es genug zu essen gab oder man sich irgendwo ein Heft oder Seife ausleihen konnte, gab es keinen Grund zu handeln. Das war nicht böser Wille oder Faulheit, nein, es war schlichtweg die Abwesenheit von Begehren.
Wenn nichts mehr zu essen da gewesen wäre, hätten die Menschen sich ganz sicher auf den Weg gemacht um etwas zu beschaffen und das wäre ganz sicher auch gelungen. Für ihr Überleben haben die Menschen immer gesorgt, aber um viel mehr materielle Güter zu erringen, war der Antrieb nicht da.
Das hat dem wunderbaren Wald, den Flüssen und den unzähligen Tierwesen für lange Zeit erlaubt ungestört nach ihrer eigenen Bestimmung zu leben.
Noch während meines Aufenthaltes in Ecuador begann sich dies zu verändern. Die Strasse wurde ausgebaut, das Dorf wurde elektrifiziert und es kamen immer mehr Touristen.
Was ich in diesem Zusammenhang mit «no hay» entdeckt habe, ist unsere /meine menschliche Fähigkeit zur Anpassung, die Fähigkeit zur Resilienz, sollte uns irgendwann nicht mehr soviel zur Verfügung stehen wie jetzt, wird das gut zu bewältigen sein. Wir können das und schön wäre es, wenn wir schon jetzt ein wenig üben könnten. Es passiert nichts, wenn nicht alles da ist, was ich glaube zu brauchen. Ich erlebte glückliche und zufriedene Zeiten in Mindo und die Menschen die da leben auch, genauso wie wir alle Kummer und Leid erfahren haben. Das hing nicht davon ab ob irgend etwas grad zur Verfügung stand oder nicht.
Pundarika